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Rollstuhlfechten

Fachwartin:
Ira Ziegler

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Bild: Para Ski Nordisch

Böblingens Rollstuhlfechter erfüllen bei Heim-DM die Erwartungen voll – Vier Titel für Maurice Schmidt – Bronze-Triple durch Tim Widmaier

Viermal Gold, dreimal Bronze ist die Bilanz der SV Böblingen bei der Heim-DM der Rollstuhlfechter.

Maurice Schmidt wurde seiner Favoritenrolle in Degen und Säbel gerecht, holte die Klasse-A-Titel der Aktiven und U23. Tim Widmaier freute sich über Bronze mit Degen, Säbel und Florett bei den Aktiven Klasse B. Auch organisatorisch hinterließ die SVB-Fechtabteilung einen glänzenden Eindruck.

„Das ist phantastisch. Wir haben bei einer Deutschen Meisterschaft nie so viel Publikum. Sonst sind immer nur die Fechter da und ein paar Offizielle. Hier haben wir volles Haus“, äußerte sich Maurice Schmidt begeistert über die Kulisse. Als der 21-Jährige am Samatag im Säbelfinale gegen Azad Abbasov vom TuS Makkabi Rostock einen wahren Fechtkrimi bot, drängten sich Dutzende Zuschauer im Tagungssaal des Hotels Mercure; fieberten mit, klatschten und jubelten, als Schmidt bei einem 12:14-Rückstand bereits sprichwörtlich mit dem Rücken zur Wand das Gefecht noch in einen 15:14-Erfolg umbog und wie im Vorjahr den Titel feierte.

Böblingens Oberbürgermeister Stefan Belz verfolgte Schmidts Triumph ebenso wie aus Weil der Stadt und Aidlingen, den Heimatorten Tim Widmaiers und Maurice Schmidts, die Bürgermeister Thilo Schreiber und Ekkehard Fauth – letzterer war zugleich als Sportkreisvorsitzender zugegen. Der SVB-Vorsitzende Jochen Reisch und Vereinsmanager Harald Link gehörten ebenso zu den ersten Gratulanten.

Weil im Schönbuchs Bürgermeister Wolfgang Lahl hatte sich als Kreisrat wiederholt für die Rollstuhlfechter eingesetzt, unter anderem den Einbau einer Behindertentoilette in der kreiseigenen Sporthalle durchgesetzt, wo die SVB-Fechter trainieren. Er war von den Darbietungen mit Florett und Säbel derart begeistert, dass er tags darauf erneut mit seiner Frau erschien, um auch die Degenwettbewerbe zu verfolgen. „Das ist echt Weltklasse, super dynamisch. Alles, was eine Sportveranstaltung ausmacht“, so Lahl gegenüber unserer Zeitung.

Hochspannend war auch der Viertelfinalkampf, mit dem sich Tim Widmaier am Sonntag die Medaille im Degen Klasse B sicherte. Zu Beginn des Gefechts gegen Joachim Friess (Heidelberg) war Widmaier mit drei Treffern in Rückstand geraten und lief diesem hinterher bis zum 8:9-Anschluss. Doch der Ausgleich gelang ihm zunächst nicht.

Stattdessen zog Friess erneut davon und war bei 12:14 nur noch einen Treffer vom Halbfinale entfernt. „Da wurde mir echt mulmig und der Arm schwer. Ich wusste, dass ich mir keinen Fehler mehr leisten kann“, schilderte Tim Widmaier später seine Emotionen. Doch zweimal konterte er den Heidelberger geschickt aus, ballte beim 14:14 mit einem kräftigen Schrei die Faust – um Sekunden später auch den entscheidenden Treffer zum 15:14 zu setzen und sich von Trainer Gavrila Spiridon und den Vereinskameraden drücken zu lassen.

„Dann mache ich wohl das Bronze-Triple“, ahnte Widmaier da bereits, dass gegen seinen Halbfinal-Kontrahenten Holger Kratzat wenig zu holen sein würde. Tatsächlich setzte sich der Rostocker mit 15:2 Treffern überdeutlich durch. „So kurz nach diesem Viertelfinale war einfach konditionell nicht mehr drin, schon gar nicht gegen Holger. Aber ich bin total zufrieden. Realistisch betrachtet habe ich mit dreimal Bronze – gestern im Säbel und Florett, heute im Degen – das Maximum für mich erreicht“, analysierte Widmaier, obwohl der 30-Jährige in alle drei Wettbewerbe als Titelverteidiger gestartet war.

Schon auf dem Weg zu Säbelbronze hatte er ein ähnliches Kunststück vollbracht und ein eigentlich schon verlorenes Gefecht noch aus dem Feuer gerissen. Vielleicht auch, weil er zu diesem Zeitpunkt Bronze im Florett bereits in der Tasche hatte. „Damit war mein Ziel, eine Medaille zu gewinnen, für mich erreicht und der größte Druck dieser Heim-DM abgefallen“, so Widmaier, der die Saison nun abhakt. Alle internationalen Wettbewerbe bis einschließlich Mai sind wegen des Corona-Virus ohnehin abgesagt. „Vielleicht starte ich noch in Warschau im Juni, dann greife ich nächste Saison wieder an“, so Widmaier.

Selbst die DM in Böblingen bekam Auswirkungen des Corona-Virus zu spüren: Felix Schrader (SV 1845 Esslingen), einer der Titelfavoriten im Florett, musste seinen Start einen Tag vor den Meisterschaften absagen, weil Südtirol zum Risikogebiet erklärt wurde. Dort hatte der Esslinger vor zwei Wochen Urlaub gemacht. Jörg Dinkelacker (TSG Reutlingen) hatte seine Meldung krankheitsbedingt zurückgezogen.

Aus württembergischer Sicht konnte Nils Neumann (SV 1845 Esslingen) punkten: Er holte mit Florett, Degen und Säbel jeweils ein Triple – nämlich in der U23 Bronze und bei den Aktiven jeweils Platz 6. Sein Teamkollege Florian Lushaj und den Reutlinger Paul Zahn war es jeweils die erste DM. Beide haben an der Rohräckerschule in Esslingen in einer Fecht-AG mit Fechten begonnen und trainieren seit ca. 6 Monaten im Verein. Lushaj erfocht sich mit Florett und Degen jeweils Platz 5 in der U23, Zahn startete nur mit dem Degen und belegte in der U23 Platz 6 und bei den Aktiven Platz 7.

Trotzdem: „Die DM hat sich gelohnt. Nicht nur für mich, sondern auch für den Verein, weil viele gekommen sind, die noch nie Rollstuhlfechten gesehen hatten“, fand Tim Widmaier und das Organisatoren-Trio Uwe Schmidt, Thomas Widmaier und Dimitri Koios pflichtete ihm bei.

Gut ein Dutzend Mitglieder der Fechtabteilung waren pro Wettkampftag im Einsatz. Allein an jeder Bahn brauchte es zwei Helfer, um vor jedem Gefecht beide Rollstühle auf dem Haltegestell zu fixieren und den Abstand zwischen den Fechtern korrekt einzustellen oder das Haltegestell gar für einen Linkshänder komplett auseinander zu bauen und umgekehrt wieder zusammenzusetzen. Denn rollen dürfen die Rollstühle während des Kampfes nicht. Nur mit Bewegungen des Rumpfes können die Fechter angreifen oder einer Attacke des Gegners ausweichen, sich dabei mit dem freien Arm an einem Griff oder dem Rad festhalten und ihre Bewegungen beschleunigen. Bei mancher Attacke hebt die Installation einige Zentimeter vom Boden ab, um krachend wieder aufzuschlagen.

„Wir sind sehr zufrieden, und die Sportler ebenfalls. Das Hotel Mercure ist als Austragungsort ideal. Die Fechter konnten ebenerdig rein und barrierefrei von ihren Zimmern zum Wettkampf und zurück. Die Veranstaltung wäre in einer Sporthalle kaum möglich. Auch das gemeinsame Abendessen im Hotel hat allen gefallen, denn auch der Besuch eines Restaurants ist für Rollstuhlfahrer schwierig. Wir hören von allen Seiten, dass uns eine Veranstaltung mit internationalem Niveau gelungen sei", fasste Koios zusammen. „Wir werden noch ein Abschlussgespräch machen und dann ein Fazit ziehen“, ergänzte Uwe Schmidt, der Vater von Maurice Schmidt, dessen Titelgewinne mit dem Degen gewissermaßen den krönenden Abschluss des Wochenendes aus Böblinger Sicht bildeten.

Im Degen-Finale der Aktiven verwies Schmidt, der vor kurzem von Aidlingen nach Böblingen umgezogen ist, den Rostocker Azad Abbasov deutlich in die Schranken. Eine Stunde später stand Schmidt durch einen überdeutlichen 15:2-Finalerfolg gegen Clemens Cursiefen (Kölner FK) auch als erneuter Titelträger der U23 fest und hatte seine vier Vorjahrestitel somit durchweg erfolgreich verteidigt.

„Erwartungen erfüllt“, atmete Maurice Schmidt durch und ließ sich gratulieren. Für ihn bedeutet zudem die Absage aller internationalen Wettkämpfe, dass er möglicherweise schon jetzt das Ticket zu den Paralympics in Tokio sicher hat. Nämlich dann, wenn der internationale Rollstuhlfechtverband IWAS entschiede, den aktuellen Ranglistenstand für die Qualifikation heranzuziehen. „Offizielle Informationen haben wir noch nicht, wir warten ab“, bleibt SVB-Trainer Gavrila Spiridon vorsichtig.

Von Steffen-Michael Eigner (mit ergänzungen von Ira Ziegler)

 

Alle Resultate:

Aktive, Klasse A (Fechter mit intakter Rumpfmuskulatur)

Herrenflorett: 1. Julius Haupt (PSV Weimar), 2. Azad Abbasov (TuS Makkabi Rostock), 3. Fietje Blumenthal (TuS Makkabi Rostock) + Clemens Cursiefen (Kölner FK) …6. Nils Neumann (SV 1845 Esslingen)

Damenflorett: 1. Sylvi Tauber (TuS Makkabi Rostock), 2. Zarife Imeri (Heidelberger FC TSG Rohrbach), 3. Diana Bökenhauer (TuS Makkabi Rostock)

Herrensäbel: 1. Maurice Schmidt (SV Böblingen), 2. Azad Abbasov (TuS Makkabi Rostock), 3. Fietje Blumenthal (TuS Makkabi Rostock) + Julius Haupt (PSV Weimar) …6. Nils Neumann (SV 1845 Esslingen)

Damensäbel: 1. Sylvi Tauber (TuS Makkabi Rostock), 2. Zarife Imeri (Heidelberger FC TSG Rohrbach), 3. Diana Bökenhauer (TuS Makkabi Rostock)

Herrendegen: 1. Maurice Schmidt (SV Böblingen), 2. Azad Abbasov, 3. Fietje Blumenthal + Sebastian Gadow (alle TuS Makkabi Rostock) …6. Nils Neumann (SV 1845 Esslingen), 7. Paul Zahn (TSG Reutlingen)

Damendegen: 1. Zarife Imeri (Heidelberger FC TSG Rohrbach), 2. Sylvi Tauber (TuS Makkabi Rostock), 3. Diana Bökenhauer (TuS Makkabi Rostock)

Aktive, Klasse B (Fechter mit inkompletter Rumpfmuskulatur, jedoch intakten Armen und Händen)

Herrenflorett: 1. Holger Kratzat (OSC Berlin), 2. Balwinder Cheema (TuS Makkabi Rostock), 3. Tim Widmaier (SV Böblingen) + Jan-Jörg Winterfeld (TuS Makkabi Rostock)

Herrensäbel: 1. Balwinder Cheema (TuS Makkabi Rostock), 2. Holger Kratzat (OSC Berlin), 3. Tim Widmaier (SV Böblingen) + Jan-Jörg Winterfeld (TuS Makkabi Rostock)

Herrendegen: 1. Balwinder Cheema (TuS Makkabi Rostock), 2. Holger Kratzat (OSC Berlin), 3. Tim Widmaier (SV Böblingen) + Hüseyin Gasimov (FC München)

U23, offene Klasse

Herrenflorett: 1. Julius Haupt (PSV Weimar), 2. Clemens Cursiefen (Kölner FK), 3. Fietje Blumenthal (TuS Makkabi Rostock) + Nils Neumann (SV 1845 Esslingen), 5. Florian Lushaj (SV 1845 Esslingen)

Herrensäbel: 1. Maurice Schmidt (SV Böblingen), 2. Julius Haupt (PSV Weimar), 3. Fietje Blumenthal (TuS Makkabi Rostock) + Nils Neumann (SV 1845 Esslingen)

Herrendegen: 1. Maurice Schmidt (SV Böblingen), 2. Clemens Cursiefen (Kölner FK), 3. Fietje Blumenthal (TuS Makkabi Rostock) + Nils Neumann (SV 1845 Esslingen), 5. Florian Lushaj (SV 1845 Esslingen), 6. Paul Zahn (TSG Reutlingen)

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